Ein Architekturpublizist interviewt Stephan Streil – Auszug aus einem Fachbuch von Johannes Kottjé:
Können Sie Beispiele dafür nennen, in welchen Größenordnungen sich die Kosten für Schadstoffsanierungen bewegen?
Eine allgemeine Kostenschätzung ist nicht möglich, weil jede schadstoffbelastete Immobilie einen Einzelfall darstellt. Je detaillierter im Vorfeld untersucht wird, umso realistischer sind die Kosten abzuschätzen. Trotz umfassender Prüfung kann es im Verlauf des Rückbaus immer noch zu unangenehmen Entdeckungen kommen. Generell kann man sagen, dass sich eine frühzeitige Prüfung auf Schadstoffe immer auszahlt, weil sie vor Fehlinvestitionen und –planungen schützt. Wer hier an der falschen Stelle spart, für den kann das Traumhaus schnell zum Alptraum werden. Eine nachträgliche Sanierung ist deutlich aufwendiger und kostenintensiver als wenn die Weichen von Anfang an richtig gestellt werden.
Fertighäuser aus jener Zeit werden aufgrund vermuteter Schadstoffbelastungen derzeit in großem Umfang abgerissen. Lohnen sich nach Ihrer Einschätzung Sanierungen dieser Häuser tatsächlich nur selten oder wird hier gelegentlich übertrieben?
Gerade ältere Fertighäuser sind oft mit Schadstoffen wie Asbest, Formaldehyd, Holzschutzmitteln und PCB’s belastet. Die Risiken werden vom Verkäufer gerne verharmlost – das sei doch „schon alles verdampft“. Der Hoffnung, dass irgendwann alle Schadstoffe ausgegast oder abgebaut sein sollten, müssen wir eine klare Absage erteilen. Unsere Messergebnisse beweisen das Gegenteil. Die Chemikalien sind auch noch nach Jahrzehnten vorhanden, belasten die Atemluft der Bewohner und können leichte Befindlichkeitsstörungen aber auch schwere Vergiftungssymptome auslösen. Haushersteller, die damals schadstoffbelastete Fertighäuser verkauft haben, bieten heute ihre Sanierungskonzepte an. So wird zweimal am selben Haus verdient. Dabei wird Risikomaterial ausgebaut, oberflächlich abgetragen oder verkapselt.
Vor dem eigentlichen Sanierungsbeginn sollte ein machbares (Aufwand, Zeitbedarf…) und finanzierbares Sanierungskonzept erstellt werden. Bei stark belasteten Häusern auf hochwertigen Grundstücken bleibt aus wirtschaftlichen Gründen oft nur der Abriss.
Gekapselte Risikomaterialien im Gebäude stellen nicht nur eine Wertminderung, sondern auch eine Gefährdung durch Undichtigkeiten und Beschädigungen bei Umbauten dar. Es gibt also viele gute Gründe für einen Abriss und Neubau.
Welche neuen Schadstoffprobleme drohen durch Sanierungen?
Schon allein der Einbau neuer Fenster macht ein Gebäude wesentlich dichter. Bei bereits vorhandenen Schadstoffbelastungen ergeben sich dadurch automatisch erhöhte Raumluftkonzentrationen. Ein zuvor unauffälliger Radonwert kann dann zu einem gesundheitlichen Risikofaktor ansteigen. Auch leichtflüchtige Stoffe (VOC’s) aus Anstrichen und Klebstoffen können die Raumluft belasten.
Immer wieder klagen Kunden über starke und anhaltende Gerüche nach einer Renovierung. Verursacht werden diese durch ungewollte chemische Reaktionen einzelner Komponenten miteinander, insbesondere wenn Trocknungszeiten nicht eingehalten werden.
Bei natürlichen Oberflächen wie Lehm- oder Kalkputz, Reinsilikatfarben, Kork und Linoleum auf emissionsarmen Klebern oder schadstofffreien Teppichen aus Naturfasern sollten keine Probleme auftreten.
Auch heute gibt es neu entwickelte Baustoffe, zu denen Langzeiterfahrungen fehlen oder bestenfalls im Labor simuliert wurden. Allerlei Prüfsiegel und Klassifizierungen sollen hier unter anderem Schadstofffreiheit oder Einhalten von Grenzwerten belegen. Welche Handlungsempfehlung können Sie dazu geben?
Heute gibt es eine unüberschaubare Menge an chemischen Einzelstoffen, daraus abgeleitet Millionen chemischer Mixturen. Jedes Jahr kommen Tausende neuer Stoffe auf den Markt, die meisten ohne Prüfung auf gesundheitliche Unbedenklichkeit. Grenzwerte gibt es nur für wenige Substanzen und sie bieten keinen ausreichenden Gesundheitsschutz. Es macht also Sinn bereits beim Einkauf schadstoffverdächtige Materialien zu meiden.
Der Praxistest am Versuchskaninchen Mensch findet in den Wohnungen statt.
Der Gesetzgeber orientiert sich bei der Einschätzung des Gesundheitsrisikos am derzeit „allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft“. Allerdings wird die Umsetzung neuer Erkenntnisse durch die Gegenwehr von Lobbyverbänden oft erheblich verzögert.
Prüfsiegel können eine erste Orientierung geben, jedoch halten viele nicht das, was sie versprechen. Bei Prüfsiegeln stellt sich immer die Frage, wer hat was wie geprüft und bewertet. Manchmal gehen die Kriterien nicht mal über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus. Andere Prüfsiegel wurden lediglich zur besseren Produktvermarktung erschaffen.
Hier kann nur eine unabhängige, baubiologische Beratung Licht ins Dunkel bringen.
Zitiert aus dem Fachbuch von Johannes Kottje